27. Oktober: Standpunkt: Wir brauchen den Baustoff !?

Am Freitag wurde in Thüngersheim erneut gerodet, in Zuge dessen ist in den letzten Tagen eine Diskussion rund um den Steinbruch und den Protest gegen die Rodungen entbrannt. Häufig war das Argument zu hören, dass wir den Baustoff für notwendige Infrastrukturprojekte und Wohnraum brauchen. Wir wollen nun hierzu Stellung beziehen:
 
Zunächst geht es nicht um die Frage, ob wir den Rohstoff nutzen oder nicht, sondern um das “für was” und “wie viel”. Dass Kies und Beton momentan nicht aus der Baubranche wegzudenken sind, ist uns allen klar. Momentan erleben wir einen weltweiten Bauboom, d.h. der Bedarf an Kies, Beton und Sand steigt rapide. Wir erleben die Situation, dass unsere Wälder buchstäblich durch Steinbrüche weggefressen werden, um den Bedarf zu decken. Sand ist mittlerweile ein knappes Gut (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/sand-ein-nur-scheinbar-unendlicher-rohstoff.724.de.html?dram:article_id=460151), auch dieser Rohstoff ist momentan nicht aus der Baubranche wegzudenken.
 
Deshalb ist es notwendig, sich rechtzeitig um Alternativen zu bemühen. Wegweisend kann dabei das Baustoffrecycling sein. Allerdings wird diese Möglichkeit für effizientere Ressourcennutzung in Deutschland durch zu strenge Auflagen blockiert. Teile des Bauschutts werden in Länder exportiert, in denen die Auflagen niedriger sind als hier, wie beispielsweise in den Niederlanden, um dann das recycelte Material wieder zu importieren. Der größte Teil des Bauschutts landet aber auf Deponien in Deutschland. Voraussichtlich werden die Deponien in sechs Jahren ihre Kapazitäten ausgeschöpft haben (vgl. https://www.deutsche-handwerks-zeitung.de/bauschutt-zu-viel-landet-auf-den-deponien/150/3095/333528), d.h. die Lagerstätten sind in Kürze voll und Deutschland wird den anfallenden Bauschutt exportieren (bereits jetzt ist Deutschland Weltmeister im Abfallexport). Hier sind die Politiker*innen in der Verantwortung, die Vorschriften zu lockern und so Baustoffrecycling in großem Stil in Deutschland zu ermöglichen. Eine weitere Möglichkeit wäre, verstärkt auf Holz als Baustoff zu setzen. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und kann unter der Bedingung von ökologischem und regionalem Anbau sowie kaskadenförmiger Nutzung einen Beitrag zur Co2-Bindung leisten und ein klimafreundlicher Baustoff sein.
 
“In Deutschland herrscht Wohnungsnot und deshalb brauchen wir mehr Neubauten.” So oder so ähnlich steht es fast täglich in den Zeitungen. Doch tatsächlich sieht es anders aus. Die Bevölkerungsentwicklung ist in Deutschland seit Jahren rückläufig, die Geburtenrate ist konstant niedrig und in den nächsten Jahren ist auch keine Änderung zu erwarten. Die Regierung von Unterfranken schreibt hierzu: “Insgesamt wird Unterfranken ein Bevölkerungsrückgang von – 3,2 % bis 2037 errechnet. Das entspricht knapp 42.500 Einwohnern, bei derzeit 1,313 Millionen Einwohner und damit einem Rückgang auf 1,270 Millionen Einwohner im Jahr 2037. […] Der ländliche Raum und insbesondere die nördlichen Landkreise Unterfrankens sind von den Bevölkerungsverlusten besonders stark betroffen. (Regierung von Unterfranken: https://www.regierung.unterfranken.bayern.de/aufgaben/3/6/00873/index.html) Was fehlt, ist nicht der Wohnraum an sich, sondern bezahlbarer Wohnraum. Die Mieten in den deutschen Großstädten explodieren, in Würzburg sind die Mieten zwischen 2005 und 2018 um 66% gestiegen. Während in den Städten der gerade noch so finanzierbare Wohnraum heiß umkämpft ist, gibt es auf dem Land zunehmend ungenutzten Wohnraum und Leerstand. Statt diesen verfügbaren Wohnraum zu nutzen, wird massiv gebaut. Immer mehr neue Einfamilienhäuser sprießen aus dem Boden. Kleinfamilien die in Häusern mit 150 – 200 qm2 Wohnraum leben, während sich in den Städten drei Menschen ein Drittel dieser Fläche teilen müssen und den größten Teil ihres Einkommens darauf verwenden, dass sie einen Ort haben, an dem sie existieren dürfen. Mit einer gerechten Verteilung hat das wenig zu tun. Die knappen Ressourcen werden ineffizient genutzt.
 
Aber in Wirklichkeit geht es nicht um Einfamilienhäuser oder Wohnraum, da brauchen wir uns auch nichts vorzumachen. Der größte Teil der Baustoffe wird nicht für den Wohnungsbau verwendet, sondern es werden vorrangig Autobahnen, Industrieparks, Lagerhallen, Logistikzentren, Gewerbegebiete und Flughäfen gebaut. Jeden Tag wird alleine in Bayern eine Fläche von 13 Hektar versiegelt. Mit schwerwiegenden Folgen für Artenvielfalt, Natur, Luft- und Lärmbelastung. Und hier kann man sich tatsächlich die Frage stellen “brauchen wir den Baustoff?”.
 
Brauchen wir wirklich flächendeckend sechsspurige Autobahnen? Brauchen wir wirklich Logistikzentren mit einer Fläche von 80 Hektar, wie es in Neu-Eichenberg geplant ist? Oder wäre es nicht sinnvoller die Infrastruktur an der Stelle auszubauen, die hier Entlastung versprechen kann, wie das Bahnnetz?
Wenn wir gegen Rodungen protestieren, wollen wir damit nicht erreichen, dass die Rohstoffe nicht mehr genutzt werden oder aus dem Ausland importiert werden. Wir wollen einen vernünftigen Umgang mit den Ressourcen und einen angemessenen Kompromiss zwischen Ressourcenabbau und Klimaschutz. Im vergangenen Jahr sind bereits knapp sechs Hektar für den Steinbruch in Thüngersheim gerodet worden, diese Fläche wäre mehr als ausreichen gewesen um für die nächsten Jahre Rohstoffe abzubauen und die Arbeitsplätze zu erhalten.
 
Stattdessen wurde rigoros auf das Maximum bestanden, aller Kritik entgegen und ohne sich mit den Thüngersheimer Bürger*innen an einen Tisch zu setzen. Wenn wir nicht mitentscheiden können, was und wie viel wir bauen und den Ressourcenverbrauch nicht kritisch hinterfragen dürfen, dann leben wir nicht in einer Demokratie sondern in der Diktatur des Marktes.